Selbstbestimmung der Gehörlosengemeinschaft

Was ist eine Selbstbestimmung? Hier erklärt Can Sipahi, 1. Vizevorsitzender von GMU die Position des GMU zu einer Selbstbestimmung der Gehörlosengemeinschaft

Text zum Video:

Hallo liebe Gehörlosengemeinschaft in Bayern.
Es geht um das Gehörlosengeld. Derzeit gibt es viel Bewegung. Wir vom GMU werden auch darauf angesprochen. Zum Thema Gehörlosengeld hat Alexander Hock unter der Petition für das Gehörlosengeld einen Kommentar geschrieben mit Verweis auf NHB (Netzwerk Hörbehinderung Bayern) wo die Liste kürzlich neu aktualisiert wurde mit den beteiligten Verbänden, die alle hör- bzw. lautsprachlich gerichtet sind. In der Liste ist der Landesverband Bayern der Gehörlosen dabei, der zum Arbeitskreis Gehörlosengeld gehört.
Lieber Alexander, du hast geschrieben, dass ein Verband fehlt. Wir wissen, dass der GMU damit gemeint ist. Es ist für uns kein Problem, wenn wir namentlich erwähnt werden. Lieber Landesverband Bayern und sieben Bezirksverbände, ebenso die Vereine, die den Bezirksverbänden angegliedert sind: Die Position des GMU ist klar. Für uns gilt schon immer: die Gehörlosengemeinschaft ist wie eine Familie. Diese Familie muss zusammengehalten werden und darf nicht geteilt werden. Innerhalb der Familie, der Gehörlosengemeinschaft, gibt es kein Konkurrenzdenken oder Hass auf andere Familienmitglieder bzw. umgekehrt. Das war und ist nie ein Thema bei uns GMU gewesen. Hier möchte ich nur etwas klarstellen, wo es Schwierigkeiten gibt. Beim NHB sind viele Menschen mit Hörbehinderung, das wurde in der Vergangenheit oft erklärt, das sind beispielsweise Cochlea Implantat Verband, Schwerhörigenverband oder Gehörlosenverband. Prinzipiell ist das ok, die vertreten in der Politik ihre Interessen, sei es gebärdensprachlich oder lautsprachlich. Aber es ist wichtig, deutlich zu machen, dass die Gehörlosengemeinschaft vor Barrieren steht und daher diese selbstbestimmt das Gehörlosengeld einfordern können. Diese Gehörlosengemeinschaft soll dann selbst ein Arbeitskreis oder ein Fachkreis aufstellen, wo sie ihre Bedürfnisse durch ihre Identität und Selbstbestimmung auswerten. Diese werden an die NHB weitergegeben. Sie sieht dann, aha, diese Bedürfnisse gibt es in der Gehörlosengemeinschaft, und unterstützt diese dann. Sie kann dann die Forderungen an die Politik weiterleiten. Wenn dann die Einrichtungen dies unterstützen, sind wir auch dankbar dafür. Aber der Landesverband Bayern hat den Arbeitskreis der NHB überlassen. Bei diesem Arbeitskreis des NHB sind viele Hörende und Lautsprachliche. Dort wird nicht gebärdet. Es gibt keine taube Identität dort. Nur eine Person vom Landesverband Bayern der Gehörlosen ist dabei, der Rest ist hörend oder lautsprachlich bzw. Cochlea Implantat Träger. Diese erstellen Forderungen für das Gehörlosengeld. Davon ist der GMU nicht begeistert. Wo bleibt die Selbstbestimmung der Gehörlosengemeinschaft? Der Landesverband Bayern der Gehörlosen muss über die Rechte der Gehörlosengemeinschaft aufklären. Bisher ist das nicht geschehen, auf der Homepage des Landesverbands findet sich nichts dazu. Wir haben das Recht auf Aufklärung.
Um mal ein Beispiel zu nennen: Der Deutsche Gehörlosenbund – DGB. Deren Schwerpunkt sind die vielen Forderungen, die er beim Bundesregierung einfordern muss. Er vertritt klar die Interessen der Gehörlosen durch die Selbstbestimmung der Gehörlosengemeinschaft. Der DGB würde das nie dem CI-Verband, Schwerhörigenverband, Behindertenverband oder Sozialverband auf Bundesebene überlassen. Das macht der DGB selbst – das ist genau der richtige Weg. So wird das weltweit schon immer gehandhabt. Aber in Bayern läuft das anders.
Erinnert ihr euch noch an die 1950er oder 60er? Viele. Hörende haben Gehörlosen geholfen, da diese nicht lesen und schreiben konnten. Das ist der damaligen schwachen Bildung zuzuschreiben. Die Hörenden haben für die Gehörlosen mit der Politik gesprochen. Später, in den 70 und 80ern wurden die Gehörlosen selbstständiger und wollten sich nicht mehr helfen lassen. Deshalb gibt es nun auch viele Verbände. Das ist schön. Diese stellen eigene Forderungen auf. Auch der DGB. Aber der Landesverband Bayern ist als einziger Verband beim NHB. Das ist gefährlich.
Der GMU hat immer gesagt, wir akzeptieren die Unterstützung des NHB mit seinen verschiedenen Verbänden und Einrichtungen. Aber es ist gefährlich, wenn der NHB für uns Forderungen aufstellt. Denn so werden die Forderungen der Gehörlosengemeinschaft, in der es viele individuelle Bedürfnisse gibt, nicht gehört. Oder wenn diese auf der Homepage des Landesverbands Bayern aufgezeigt werden, besteht dort die Chance. Aber das gibt es nicht, nur versteckt.
Das zweite Problem: vielleicht wird durch die Arbeit des NHB das Gehörlosengeld eingeführt. Aber was sind dann die weiteren möglichen Folgen? Es gibt zum Beispiel noch Barrieren in der Schule und im Arbeitsleben, in der politischen Teilhabe oder im gesundheitlichen Bereich. Auch dort wollen wir Forderungen aufstellen. Aber dann kann NHB sagen, der Landesverband Bayern hat uns damals alles überlassen. Wir kümmern uns weiterhin darum. Dann stehen wir vor einer enormen Barriere, wenn NHB sich dann um alles kümmert, kann es aus dem Ruder laufen, da unsere Selbstbestimmung geschmälert wird. Deshalb ist es wichtig, wenn die Gehörlosengemeinschaft selbstbestimmend ihre Forderungen durchsetzen kann.
Eine weitere Gefahr bei NHB ist: wir stehen im Gespräch mit vielen Politiker:innen und viele von ihnen sagen, es ist gut, dass bei NHB Menschen mit Hörbehinderung integriert werden. Bei der Gehörlosengemeinschaft steht die Gebärdensprache, unsere eigene Sprache, im Vordergrund. Bei Menschen mit Hörbehinderung gibt es keine Gebärdensprache. Für die Politik sollte beides zusammengelegt werden. Jetzt fragen wir euch: wie soll es funktionieren, wenn Gebärdensprache und Lautsprache „vermischt“ werden? Das klappt nicht. Diese zwei Sprachen und die Orientierung müssen eindeutig getrennt werden. Die Gebärdensprache gehört zur Gehörlosengemeinschaft. Die Politik muss einsehen, dass die Gehörlosengemeinschaft selbstbestimmt ist. Ebenso die lautsprachlich orientierten Menschen, deren Selbstbestimmung auch erhalten bleiben muss. und darf nicht abgegeben werden. Das würde die Gehörlosengemeinschaft irgendwann bereuen, denn unser Wert würde dann verringert werden. Dazu sagen wir nein. Wir geben das nicht ab, wir bleiben selbstbestimmt. Und dafür müssen wir uns solidarisieren. Wir kennen auch die Selbstbestimmung bei Frauen, Trans*, Männer, Menschen mit Migrationshintergrund, oder andere Behinderungen. Es gibt eine Vielfalt an Bedürfnissen, was die Politik auch verstehen muss. Diese kann man nicht vermischen.
Um nochmal klarzustellen: Frau Zille von NHB hat immer mehr eine Monopolstellung inne, was wir im Laufe der Zeit beobachtet haben. Sie ist Sprecherin für die lautsprachlichorientierten Gruppe bei der NHB. Sie ist zudem auch erste Vorsitzende des bayerischen CI Verbands. Sie ist zudem auch im Vorstand der LAG Selbsthilfe Bayern. Sie hat dadurch eine enorme Macht. Wir haben schon immer an den Landesverband Bayern der Gehörlosen appelliert, da aufzupassen. Leider erfolglos.
Unsere Position ist eindeutig: wir vertreten die Interessen der gehörlosen Menschen. Aber wir vertreten nicht die Interessen der lautsprachlichen Menschen. Dafür sind sie selbst zuständig.
Das wollten wir euch sagen.

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