Gehörlosenkultur

Kultur

Der Begriff „Kultur“ ist sehr vielfältig. Je nach Perspektive wird das Wort sehr unterschiedlich interpretiert.
Generell gilt, dass jede Gemeinschaft – unabhängig von ihrer Größe oder Zusammensetzung – eine eigene Kultur aufbauen kann. Auch Randgruppen oder Minderheiten können eine eigene „Kultur“ entwickeln.

Nach klassischer Definition bezeichnet „Kultur“ die Lebensauffassung, die ein Mensch als Mitglied einer Gesellschaft aufnimmt. Das ist ein ganzer Komplex von Kenntnissen, Glaubensvorstellungen, Kunst, Moralauffassung, Recht, Bräuchen und allen anderen Fähigkeiten und Sitten.

Kultur umfasst auch den Umgang miteinander und den Respekt voreinander.
Kultur bedeutet die gemeinsame benützte Sprache, Theater, Literatur, Brauchtum, Religion und Kunst.

Foto: Skulptur „Daumen hoch“ des tauben dänischen Künstlers Sten Lykke Madsen vor dem Gehörlosenzentrum München

Was bedeutet „Gehörlosenkultur“?

In Deutschland leben etwa 80.000 taube Menschen, die sich ihre eigene Infrastruktur und ihre eigene Kultur aufgebaut haben – die „Gehörlosenkultur“. Die Gebärdensprache als Kommunikationsmittel ist ein Teil davon.
Zur Gehörlosenkultur gehören auch z.B. Vereine und feste Treffpunkte in jeder größeren Stadt.
Dort finden regelmäßige Veranstaltungen und Treffen statt.
Taube Menschen sind weitgehend von den kulturellen Aktivitäten der hörenden Mehrheit ausgeschlossen (z. B. Vorträge, Theater, Radiosendungen, Kino), da sie visuell orientierte Menschen sind – sie kommunizieren mit der Gebärdensprache. Dadurch verarbeiten sie Erfahrungen, Gefühle, Gedanken und Ausdrücke anders als Hörende und brauchen dementsprechend andere Schwerpunkte.
Die Mitglieder der „Gehörlosenkultur“ verstehen sich mehr als eine Sprach- und Kulturgemeinschaft und weniger als eine Behindertengruppe.

Wie entsteht diese Gehörlosenkultur?

  • Gebärdensprache, die eine fließende Kommunikation zwischen den Gebärdensprachler*innen ermöglicht
  • gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse in Gehörlosenschulen, in der Familie und in der Gesellschaft
  •  „oral tradition“ (mündliche Überlieferung), die von Generation zu Generation weitergegeben wird
  • geschichtliche Entwicklung der Gehörlosengemeinschaft
  • Bräuche, Geschichten und Witze, die über das Leben der tauben Menschen berichten
  • Vertrautheit durch ähnliche Erfahrungen und Erlebnisse mit tauben Menschen aus anderen Regionen und Ländern

Was alles gehört zum Kulturangebot?

Gehörlosenkultur ist überall zu finden.
In den „Schönen Künsten“ haben sich eigene Strukturen gebildet, zum Beispiel mit dem Gebärdensprachtheater und den Kulturtagen der Gehörlosen, auf denen Maler, Grafiker und Bildhauer ihre Werke ausstellen.

Auch Wettbewerbe in Gebärdensprach-Erzählen und Gebärdensprache-Poesie um die „Goldene Hand“ des Berliner Gebärdensprachfestivals und das Deutschen Gebärdensprachtheaterfestival „DEGETH“ in München erfreuen sich großer Beliebtheit.

Teil der Kultur sind: Pantomime, Tanz, Geschichtenerzählen, Gehörlosen-Witze, Theaterstücke in DGS (=Deutsche Gebärdensprache) und Gebärdensprach-Poesie („Poesie in manueller Sprache“), Gemälde gehörloser Künstler*innen, Skulpturen und Videos.

Die  Sportbegeisterten, haben sich bereits 1910 im Deutschen Gehörlosen-Sportverband zusammenschlossen. Mit seinen über 12.000 Mitgliedern aus 168 Vereinen, führt der Verband auf Vereins-, Landes- und Bundesebene eigene Meisterschaften durch und beteiligt sich an europäischen und internationalen Wettkämpfen. Weltweit werden die Deaflympics beziehungsweise die Gehörlosen-Weltspiele jeweils ein Jahr nach den Olympischen Spielen veranstaltet.

Im kirchlichen Bereich gibt es Seelsorger*innen speziell für taube Menschen; auch spezielle Publikumszeitschriften widmen sich dieser Zielgruppe. (z. B. die „Deutsche Gehörlosen-Zeitung“ (DGZ), regionale Mitteilungsblätter und Gehörlosenzeitungen). Im Internet entstehen immer wieder entsprechende Magazine und Diskussionsforen.

Als eigene Kulturgruppe haben sich die hörenden Kinder gehörloser Eltern herausgebildet. Sie sind international unter dem Akronym CODA – „Children of Deaf Adults“ – bekannt. KODA sind ebenfalls hörende Kinder von tauben Erwachsenen bzw. Eltern – „Kids of Deaf Adults“ (0-17 Jahre). Es gibt ein Netzwerk von hörenden Erwachsenen mit tauben Eltern – „CODA d.a.ch. e.V.“

Regionale und überregionale Veranstaltungen

Die Gebärdensprachgemeinschaft der Gehörlosen hat im Laufe der Zeit eine eigene Kultur entwickelt, die in Gehörlosenzentren und -vereinen gepflegt wird. Beispielsweise der GMU in München ist eine Anlaufstelle für Gehörlose. Dort finden regelmäßig Veranstaltungen und Treffen statt.

Deutsche Kulturtage der Gehörlosen

Die ersten „Deutschen Kulturtage der Gehörlosen“ in Hamburg im Jahr 1993 waren mit 3.000 Teilnehmern ein herausragender Erfolg. Von dieser Veranstaltung 1993 gingen bundesweit enorme Impulse aus.

Entwicklung

JahrVeranstaltung und Ort
1993 1. „Deutsche Kulturtage der Gehörlosen“ Hamburg
19972. „Deutsche Kulturtage der Gehörlosen“ Dresden
20013. „Deutsche Kulturtage der Gehörlosen“ München
20084. „Deutsche Kulturtage der Gehörlosen“ Köln
20125. „Deutsche Kulturtage der Gehörlosen“ Erfurt
20186. „Deutsche Kulturtage der Gehörlosen“ Potsdam
20247. „Deutsche Kulturtage der Gehörlosen“ Friedrichshafen
Übersicht Veranstaltungen „Deutsche Kulturtage der Gehörlosen“ seit 1993

Gebärdensprachfestivals und -theater

Regelmäßig seit 1993 werden verschiedene Gebärdensprachfestivals organisiert.

1991 fand in Berlin das erste Gebärdensprachfestival, besser bekannt als die „Die Goldene Hand“, statt. „Die Goldene Hand“ wurde bis 2010 insgesamt sieben Mal verliehen. Weitere Gebärdensprachfestivals folgten. Inzwischen hat sich die eigene Kultur im Selbstbewusstsein der Gebärdensprachgemeinschaft fest verankert.

  • ViFest in Berlin (https://www.vifest.de/)
  • Videofestival der Gehörlosen und Internationales Magiefestival der Gehörlosen in Leipzig, (Auftritte von „Trio-Art“ (Essen), „Thow & Show“ (München), „Visuelles Theater Hamburg“, „Deutsches Gehörlosen-Theater“ (Dortmund), „Berliner Theaterbühne“)

DEGETH – Deutsches Gebärdensprachtheater-Festival

Regelmäßig seit 1997 organisiert der GMU das weltweit bekannte Deutsches Gebärdensprachtheater-Festival – kurz genannt DEGETH in München.

JahrVeranstaltung und Ort
19971. DEGETH / 12.04.1997 im Leopold Theater Schwabing
19992. DEGETH / 09. und 10.07.1999 im Leopold Theater/ Reithalle
20033. DEGETH / 27. und 28.06.2003 im Theater Leopoldstraße
20064. DEGETH / 13. und 14.10.2006 im Amerika Haus
20105. DEGETH / 18. und 19.06.2010 im Theater Leo17
20146. DEGETH / 21. und 22.11.2014 im Bürgerhaus Unterföhring
20177. DEGETH / 27. und 28.10.2017 im Bürgerhaus Unterföhring
20228. DEGETH / 28. und 29.10.2022 im Bürgerhaus Unterföhring
20252025    9. DEGETH geplant (voraussichtlich am 10. und 11. Oktober 2025)
Übersicht DEGETH-Veranstaltungen seit 1997
Einen Rückblick der DEGETH-Festivals finden Sie hier als PDF Ausgabe:PDF, nicht barrierefrei herunterladen (4 MB)