Stellungnahme 2020-01: Appell an das Inklusionsamt in Bayern

Appell an das Inklusionsamt in Bayern:
Arbeitsassistenz für gehörlose Selbständige und Arbeitnehmer*innen in der aktuellen Corona Krise unbürokratisch gewähren!

Vorrangiger Auftrag des Inklusionsamtes ist es, die gleichberechtigte Teilhabe schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben zu fördern. Zur erfolgreichen Erfüllung dieses Auftrags gilt es die Bedarfe zielgerichtet, individuell und situativ zu ermitteln. Seit dem Jahr 2000 besteht ein Rechtsanspruch schwerbehinderter Menschen auf die Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz. Die Arbeitsassistenz soll behinderten Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung eine Hilfestellung bei der Erfüllung einzelner Aufgaben benötigen, ansonsten aber in der Lage sind, ihre Pflichten zu erfüllen, die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. Voraussetzung ist, dass es sich dabei um eine kontinuierliche, regelmäßig und zeitlich nicht nur wenige Minuten täglich anfallende Unterstützung am konkreten Arbeitsplatz handelt.

Die Bundesregierung beabsichtigt in der aktuellen schwierigen Lage alle Unternehmen, Kleinunternehmen und Selbstständige zu unterstützen. Regelmäßig wenden sich Politiker an die Öffentlichkeit mit der Botschaft, dass man sich keine Sorgen um seine Existenz machen müsse. Entscheidend sei es, in einer Ausnahmesituation wie dieser „schnell und unbürokratisch“ zu handeln.

Selbstständige und Unternehmer werden in dieser Krise vor große Herausforderungen gestellt, die mit einer Vielzahl von Entscheidungen verbunden sind. Soforthilfe, Kurzarbeit und/oder Darlehen? Erleichterungen und Möglichkeiten, die jedoch für die meisten Selbstständigen mit großem Aufwand verbunden sind. Als gehörloser Unternehmer ist diese bereits belastende Situation aufgrund der Gehörlosigkeit zusätzlich erschwert. Eine Arbeitsassistenz ist daher besonders in einer Ausnahmesituation wie der aktuellen COVID-19 Pandemie unerlässlich.

Im Rahmen einer Antragsstellung auf Kurzarbeitergeld sollen laut Inklusionsamt auch die bewilligten Zeiten von Arbeitsassistenzen anteilig gekürzt werden. Dies bedeutet für einen gehörlosen Unternehmer, dass dieser in Krisenzeiten auf sich selbst gestellt wäre. Aufgrund der Gehörlosigkeit ist es dem Gehörlosen nicht möglich ohne Arbeitsassistenz zu telefonieren. Angesicht der verminderten Erreichbarkeit bei Firmen, Ämtern und Behörden, ist die alleinige Kommunikationsform per E-Mail aktuell keine nachhaltige und alleinige Lösung. Vorrangige Aufgabe der Arbeitsassistenz ist es, jene Aufgaben zu übernehmen, zu denen der oder die Betroffene aufgrund der Behinderung selbst nicht in der Lage ist.

Die Arbeitsassistenz ersetzt im Falle eines Gehörlosen sein Gehör und seine Stimme und ermöglicht auf diesem Wege barrierefreie Kommunikation. Der Bedarf, sich als gehörloser Unternehmer in der derzeitigen Krise an unzählige Firmen zu wenden, um unternehmensrelevante Absprachen und Vereinbarungen hinsichtlich des Zahlungs- und Forderungsvereinbarungen oder etwa Lieferung zu treffen, ist enorm und existenznotwenig.

Ebenso müssen gehörlose Arbeitnehmer*innen in der aktuellen Situation informiert bleiben und ggf. auf bereits vorhandene Arbeitsassistenz und/oder Dolmetscher trotz Kurzarbeit zurückgreifen können. Auch hier besteht u.U. die Notwendigkeit Fragen mit dem Chef zu besprechen oder an einem kurz anberaumten Meeting zum Thema Corona und den weiteren Absprachen in der Firma bzgl. Kurzarbeit, Zwangsurlaub etc. via Videotelefonie teilnehmen zu müssen. Technisch wäre die Zuschaltung eines Dolmetschers möglich, jedoch ist die Finanzierung unklar, wenn oben genannte Regelung des Inklusionsamt gilt.

Das Festhalten an bürokratischen und langen Entscheidungsprozessen in dieser besonderen Situation ist ein Irrweg. Die Ausmaße und Auswirkungen dieser Pandemie zeigen und erfordern, dass Instanzen – insbesondere aber jene, die für die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen verantwortlich sind – von ihren Strukturen und Regeln abweichen sollten. Hinsichtlich der Existenzsicherung ist es insbesondere für gehörlose Unternehmer in diesen Zeiten unabdingbar auf eine Arbeitsassistenz zurückgreifen zu können um ihren Betrieb weiter aufrechtzuerhalten.

Ziel muss es sein, Barrieren aus dem Weg zu räumen. Daher schlagen wir vor, von erschwerenden Maßnahmen und langen Entscheidungsprozessen abzusehen und vielmehr sich der gegenwärtigen Situation anzupassen und starre Strukturen aufzuweichen, damit schnell und unbürokratisch geholfen werden kann. Die Überprüfung auf rechtmäßige Gewährung kann im Nachhinein erfolgen, wie dies u.a. auch bei der Corona-Soforthilfe des Freistaats Bayern geschieht.

Nur so ist die gemeinschaftliche Überwindung dieser Pandemie möglich.
Anbei die Stellungnahme als PDF.

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