GMU e.V. und BGSD Bayern e.V. – Offener Brief zum Maskenpflicht

An die bayerische Staatsregierung,
Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales,
Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege und
Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr

München, 2. Mai 2020

Offener Brief und Appell
Masken-Pflicht bedeutet eine doppelte Freiheitsbeschränkung für gehörlose Menschen

Engagement und Interessensvertretung für gehörlose Menschen:
Der Gehörlosenverband München und Umland e.V. ist bekannt für sein großes Engagement, was die Teilhabe gehörloser Menschen in Gesellschaft, Politik und Arbeitsleben betrifft.
In der Coronakrise hat der GMU e.V. bisher Pressemitteilungen und Stellungnahmen veröffentlicht bzw. an alle zuständigen Ministerien verschickt, insbesondere zu Präsenzverdolmetschungen im linearen Fernsehen und aktuell zur Maskenpflicht in Bayern.
Es besteht eine Kooperation und intensive Zusammenarbeit mit dem Gehörlosenverband Schleswig-Holstein e.V., mit dem wir gemeinsam Handlungsempfehlungen für die fünf Bereiche – Geschäfte, ÖPNV, Öffentliche Gebäude, Arztpraxen oä. und Krankenhäuser – hinsichtlich des Mundschutz durch eine Maske erarbeitet haben. Erfreulicherweise hat das Bundesland Schleswig-Holstein diese Handlungsempfehlungen ernst genommen und entsprechend in ihre Vorgaben einfließen lassen. Ebenso haben unter anderem die Bundesländer Baden-Württemberg und Hessen die Maskenpflicht für Gehörlose aufgehoben.

Kooperation des GMU e.V. mit dem BGSD Bayern e.V.:
Hinsichtlich der Thematik haben sich der Gehörlosenverband München und Umland e.V. und der Berufsfachverband der GebärdensprachdolmetscherInnen e.V. zusammengetan. Gemeinsam fordern wir klare Richtlinien, was die Maskenpflicht für gehörlose Menschen betrifft, als auch in allen Bereichen des Gebärdensprachdolmetschens, in denen hörende und gehörlose Menschen mit einem Dolmetscher aufeinandertreffen (z.B. Arzt, Krankenhaus, Arbeitsleben).

Maskenpflicht für Gehörlose in Bayern:
In Bayern besteht momentan eine Maskenpflicht auch für Gehörlose. Wir wissen, dass die Infektionszahl in Bayern besonders hoch ist, und daher strengere Auflagen seitens der Regierung beschlossen wurde, als dies in anderen Bundesländern der Fall ist. Das ist sicher sinnvoll, um die Menschen vor Ansteckung zu schützen. Wir verstehen, dass die Politik gerade in der Corona-Krise eine große Verantwortung hat und unter grossem Zeitdruck arbeitet. Wir sehen jedoch die Maskenpflicht für gehörlose Menschen und Gebärdensprachdolmetscher*innen mit grosser Sorge.

Daher möchten wir in dieser Problematik Sie unterstützen und in einen direkten Dialog gehen, zum einem weil die Deutsche Gebärdensprache nach § 6 BayBGG als eigenständige Sprache anerkannt ist und sich gehörlose Menschen nicht nur als Menschen mit Behinderung, sondern damit auch als Sprachgemeinschaft definieren. Für hörende Menschen gibt es durch die Maskenpflicht keine direkten gravierenden Kommunikationsbarrieren. Gehörlose Menschen, die im Alltag ständig auf Kommunikationsbarrieren stoßen, sind durch die Maskenpflicht vollkommen von jeglicher Kommunikation abgeschnitten, da nicht einmal mehr Lippenbewegungen und die Mimik wahrgenommen werden können und so sogar die Chance genommen wurde, dem Gegenüber zu erklären, dass eine Taubheit vorliegt.
So werden gehörlosen Menschen als unhöflich wahrgenommen und können ihre Lage nicht einmal erklären, da sie gar nicht mitbekommen, dass der Gegenüber etwas gesagt hat. Wir bitten Sie daher inständig, mit uns gemeinsame Lösungen zu erarbeiten, da wir die Fachexpert*innen hierfür sind.

Doppelte Freiheitsbeschränkung für Gehörlose
Allgemein bedeutet die Ausgangsbeschränkung für alle eine Freiheitsbeschränkung, auch wenn dies wegen der Infektionsgefahr sinnvoll sein mag. Aber durch die Maskenpflicht werden Gehörlose in ihrer Freiheit zweifach beschränkt – Ausgangsbeschränkung UND Kommunikationsbeschränkung! Für Gebärdensprachdolmetscher*innen bedeutet es ebenso eine doppelte Beschränkung – nämlich Ausgangsbeschränkung UND Einschränkung der Berufsausübung!
Für jeden Menschen in der Gesellschaft stellt die momentane Situation eine z.T. große Belastung dar, gehörlose Menschen sind zusätzlich mit einer kompletten Kommunikationsbeschränkung konfrontiert sind und dies nicht nur 5 Minuten, sondern in jedem Moment in dem sie das Haus verlassen.

Durch die doppelte Beschränkung werden gehörlose Menschen seelisch und psychisch stärker be-lastet als Andere. Die Freiheit wird de facto auf Null heruntergefahren. Wie sollen wir so weiterleben?

Dringend schnelle Umsetzung erbeten
Daher appellieren wir an Sie, möglichst schnell eine praktikable und gute Umsetzung anhand
Unseren untenstehenden Handlungsempfehlungen im Einklang mit dem Infektionsschutzgesetz einzuleiten.
Wir verstehen einerseits strenge Regelungen. Dennoch bestehen andererseits für uns Wider-sprüche – für einen Busfahrer und in öffentlichen Gebäuden besteht kein Mundschutzpflicht, ebenso werden in Arztpraxen und Krankenhäuser nur eine Empfehlung zur Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) ausgesprochen, obwohl hier ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht. Warum wird dies dann bei Gehörlosen so streng gehandhabt, bzw. warum gelten für sie keine Ausnahme-regelungen, wie es auch für andere Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen der Fall ist?

Handlungsempfehlungen:
Folgendermaßen stellen wir uns die Situation für gehörlose Menschen vor:
1. Wenn eine Spuckschutzscheibe vorhanden ist, muss das Personal keine MNB tragen, ebenso kann die gehörlose Person auf der anderen Seite dann die Maske abnehmen. Ein Gebärdensprachdolmetscher*innen sei in einer Dolmetschsituation davon befreit, eine Maske zu tragen. Ein Sicherheitsabstand von 1,5m – 2m ist zwingend einzuhalten.
2. Wenn keine Spuckschutzscheibe vorhanden ist, ist unter Einhaltung eines Sicherheits-abstandes von 1,5m – 2m ebenso die Abnahme der Maske für Personal, Gehörlose als auch Gebärdensprachdolmetscher*innen in einer Kommunikationssituation möglich.

Wenn das Gespräch beendet ist, haben alle die MNB wieder aufzusetzen. So wird auch ein zu häufiges Abnehmen der MNB vermieden.

Kurze und häufige Abnahme der MNB bedeutet erhöhtes Infektionsrisiko
Vom bayerischen Behindertenbeauftragten haben wir die Information bekommen, dass sofern eine Kommunikation nicht anders möglich sei, dass die Maske zu diesem Zweck – auch von dem Gegenüber – kurzzeitig abgenommen werden darf.
Wir sehen hier ein erhöhtes Risiko, da bedingt durch das häufige Abnehmen die MNB oft angefasst wird und dadurch erhöhte Kontaminierungsgefahr besteht.

Verschiedene Institute betonen einen richtigen Umgang mit einer Maske, da die Außenseite einer gebrauchten Maske potentiell erregerhaltig sein kann. Um eine Kontaminierung der Hände zu verhindern, sollte diese möglichst nicht berührt werden. Insofern soll ein häufiges Abnehmen möglichst vermieden werden..

Face-Shield’s für Gebärdensprachdolmetscher*innen
Bzgl. des Gebrauches eines Face-Shield fordern wir hier eine klare Aussage, insbesondere bei Einsätzen von Gebärdensprachdolmetscher*innen. Laut des Bayerischen Innenministeriums „stellen Visiere (aus Plastik oder anderem Material), sog. Face-Shields oder (Plexi-) Glasscheiben keinen gleichwertigen Ersatz für eine Maske dar. Diese können höchstens ergänzend zur Mund-Nasen-Bedeckung getragen/verwendet werden.“
Jedoch verwenden viele Metzgereien, als auch Lebensmittelgeschäfte in Bayern sogenannte Face-Shields. Wenn das dort jedoch erlaubt ist, ist die Aussage widersprüchlich.

Wir bitten die Ministerien um klare Aussagen und entsprechende Anweisungen.
Die psychische Belastung für gehörlose Menschen ist aktuell aufgrund der zweifachen Freiheits-beschränkung – Ausgangs- als auch Kommunikationsbeschränkung – extrem hoch.

Gerne stehen wir für Unterstützung und Dialog bereit und bitten um eine direkte und schnelle Antwort.

Can Sipahi
1. Vizevorsitzender im Namen des Vorstandes vom Gehörlosenverband München und Umland e.V.

Cornelia von Pappenheim
Geschäftsführerin des Gehörlosenverbandes München und Umland e.V.

Marion Rexin
Vorstandsmitglied im Namen des Berufsfachverbandes GebärdensprachdolmetscherInnen Bayern e.V.

Den offenen Brief gibt es hier als Download in PDF.